Warum nicht alle Staatsausgaben gleich sind: Fiskalische Multiplikatoren aus MMT-Perspektive
Kernaussage: Ein monetär souveräner Staat kann sich alle Ausgaben in eigener Währung leisten. Die entscheidende Frage ist: Welche Ausgaben mobilisieren unsere realen Ressourcen am effektivsten?
Die Illusion der Knappheit überwinden
Aus Sicht der Modern Monetary Theory (MMT) ist die zentrale Frage nicht, ob sich ein Staat Ausgaben "leisten" kann – ein monetär souveräner Staat kann sich immer alles leisten, was in seiner eigenen Währung verfügbar ist. Die entscheidende Frage ist vielmehr: Welche Ausgaben schaffen den größten gesellschaftlichen Nutzen und mobilisieren die vorhandenen Ressourcen am effektivsten?
Hier kommen fiskalische Multiplikatoren ins Spiel. Sie zeigen uns, wie viel zusätzliche Wirtschaftsleistung durch einen Euro Staatsausgaben entsteht. Die Unterschiede sind dramatisch – und sie zeigen, wo wir unsere Prioritäten setzen sollten.
Ausgabenart | Typischer Multiplikator |
---|---|
Grüne Investitionen | > 2,0 möglich |
Infrastrukturinvestitionen | 1,0 – 2,5 |
Gesundheit / Bildung | 1,0 – 2,0 |
Transferzahlungen (z.B. ALG) | 0,6 – 1,5 |
Steuersenkungen für Geringverdiener | 0,8 – 1,5 |
Öffentliche Konsumausgaben | 0,6 – 1,2 |
Militärausgaben | 0,3 – 0,8 |
Steuersenkungen für Reiche | < 0,3 |
Die Multiplikator-Hierarchie verstehen
Spitzenreiter: Grüne Investitionen (> 2,0)
Grüne Investitionen stehen an der Spitze der Wertschöpfungskette. Ein Euro staatlicher Investition in erneuerbare Energien, Energieeffizienz oder nachhaltige Mobilität kann mehr als zwei Euro an Wirtschaftsleistung generieren. Diese Investitionen:
- Schaffen direkte Arbeitsplätze in zukunftsträchtigen Branchen
- Reduzieren langfristig Importabhängigkeiten bei Energie
- Generieren positive Spillover-Effekte durch technologische Innovation
- Mobilisieren private Investitionen als Komplementär
Solide Performer: Infrastruktur, Gesundheit und Bildung
Traditionelle öffentliche Investitionen zeigen konsistent hohe Multiplikatoren (1,0 – 2,5). Sie erhöhen die Produktivität der gesamten Wirtschaft, schaffen direkte Beschäftigung oft in strukturschwachen Regionen und haben lange Nutzungsdauern.
Die Mitte: Transfers und Konsumausgaben
Transferzahlungen und öffentliche Konsumausgaben zeigen moderate Multiplikatoren. Sie stabilisieren die Nachfrage, sichern soziale Teilhabe und wirken als automatische Stabilisatoren – essentiell für eine funktionierende Wirtschaft.
Niedrige Multiplikatoren: Eine Frage der Prioritäten
Militärausgaben haben aus rein ökonomischer Sicht niedrigere Multiplikatoren (0,3 – 0,8), was nicht bedeutet, dass sie verzichtbar sind – Sicherheit hat einen eigenen Wert jenseits wirtschaftlicher Kennzahlen. Allerdings sollte dies in die Abwägung einfließen, wenn Ressourcen knapp sind.
Steuersenkungen für Reiche zeigen die niedrigsten Multiplikatoren (< 0,3), da das zusätzliche Einkommen größtenteils gespart oder in Finanzanlagen investiert wird, statt realwirtschaftliche Nachfrage zu generieren.
Die MMT-Perspektive: Ressourcen statt Geld
MMT lenkt den Blick von finanziellen auf reale Beschränkungen. Die Frage ist nicht "Haben wir genug Geld?", sondern "Wie nutzen wir unsere realen Ressourcen – Arbeitskraft, Rohstoffe, Technologie – am besten?"
Vollbeschäftigung als Ziel
MMT stellt Vollbeschäftigung ins Zentrum der Wirtschaftspolitik. Ausgaben mit hohen Multiplikatoren sind doppelt wertvoll: Sie schaffen nicht nur Arbeitsplätze, sondern erhöhen auch die Produktivität. Eine Job-Garantie könnte gezielt in Bereichen mit hohen Multiplikatoren angesiedelt werden – etwa in der energetischen Sanierung oder im Ausbau sozialer Infrastruktur.
Inflationskontrolle durch kluge Ausgabenwahl
Die MMT-Warnung vor Inflation bezieht sich auf die Überlastung realer Ressourcen. Ausgaben mit hohen Multiplikatoren erweitern die Produktionskapazität und wirken inflationsdämpfend. Grüne Investitionen reduzieren beispielsweise die Abhängigkeit von importierten fossilen Energieträgern – einer häufigen Inflationsquelle.
Praktische Implikationen für die Politik
1. Investitionsoffensive statt Schuldenbremse
Die deutsche Schuldenbremse verhindert genau jene Ausgaben mit den höchsten Multiplikatoren. Eine MMT-informierte Politik würde stattdessen massive Investitionen in die grüne Transformation, moderne Infrastruktur und Bildung tätigen.
2. Intelligente Prioritätensetzung
Jeder Euro, der von Bereichen mit niedrigen in solche mit hohen Multiplikatoren umgelenkt wird, vervielfacht seine wirtschaftliche Wirkung. Das bedeutet nicht, dass alle Ausgaben mit niedrigen Multiplikatoren verzichtbar sind – aber ihre Opportunitätskosten sollten transparent gemacht werden.
3. Antizyklische Politik mit Multiplikator-Fokus
In Rezessionen sollten gezielt Ausgaben mit hohen Multiplikatoren erhöht werden. Ein Green New Deal wäre nicht nur klimapolitisch notwendig, sondern auch das effizienteste Konjunkturprogramm.
Fazit: Ein Kompass für rationale Wirtschaftspolitik
- Nicht alle Staatsausgaben sind gleich – manche schaffen ein Vielfaches ihres Wertes
- Wir haben Wahlmöglichkeiten – zwischen Ausgaben mit hoher und niedriger Wirkung
- Eine andere Politik ist möglich – und sie wäre wirtschaftlich effizienter
Die MMT-Perspektive befreit uns von der falschen Vorstellung finanzieller Knappheit und lenkt den Blick auf die optimale Nutzung realer Ressourcen. Es ist Zeit, dass unsere Wirtschaftspolitik diese Erkenntnisse ernst nimmt und Prioritäten setzt, die sowohl wirtschaftlich effizient als auch gesellschaftlich sinnvoll sind.