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Gedanken zu Ökonomie & Nachhaltigkeit

Ideen zum Großen Filter

10. Dezember 2025

Das Universum ist alt, groß und voller Sterne mit Planeten. Wenn Leben nicht extrem unwahrscheinlich ist, müsste es dort draußen viele Zivilisationen geben. Trotzdem sehen wir nichts. Keine erkennbaren Megastrukturen, keine klaren Funksignale, keine galaktische Industrie am Himmel. Diese Spannung zwischen der scheinbaren Wahrscheinlichkeit außerirdischer Zivilisationen und der beobachteten Stille wird als Fermi Paradoxon beschrieben. Eine mögliche Antwort darauf ist die Idee des Großen Filters. Irgendwo auf dem Weg von toter Materie zu langlebigen, raumfahrenden Kulturen liegt eine Hürde, an der fast alle scheitern.

In meinem Text Energie als ultimative Ressource ging es darum, dass Geld zwar ein menschliches Konstrukt ist, Energie aber eine physische Grundlage. Ohne Energie tut sich nichts. Diese Perspektive lässt sich problemlos ins Kosmische verlängern. Der Große Filter könnte weniger eine mystische Schwelle sein, sondern sehr konkret mit Energie, Physik und institutioneller Organisation zu tun haben.

Vom Molekül zur Megastruktur

Wenn man die Entwicklung einer Zivilisation als Abfolge von Stufen denkt, dann beginnt es bei Chemie und endet, im optimistischen Fall, bei einer Technosphäre, die Sterne und Planeten aktiv gestaltet. Dazwischen liegen die üblichen Zwischenstationen. Irgendwann entsteht selbstreplizierendes Leben. Noch später komplexe Organismen mit Nervensystem. Dann Werkzeuge, Sprache, Kultur, Technik, Städte, globale Vernetzung. Und irgendwann vielleicht raumfahrende Kulturen, die so sichtbar werden, dass man sie auch aus vielen Lichtjahren Entfernung bemerken würde.

Der Große Filter ist die Annahme, dass eine oder mehrere dieser Stufen extrem unwahrscheinlich sind oder oft in Sackgassen enden. Vielleicht ist schon die Entstehung des Lebens selten. Vielleicht ist Intelligenz ein evolutionärer Unfall, der fast nie passiert. Oder hochkomplexe Gesellschaften sind so instabil, dass sie sich selbst zerstören, bevor sie interstellare Spuren hinterlassen. Die unbequeme Frage lautet. Wo genau befinden wir uns in dieser Kette. Und wie stark spielt Energie dabei die Hauptrolle.

Fossile Brennstoffe als kosmischer Sonderfall

Auf der Erde ist unsere industrielle Zivilisation eng mit einem geologischen Glücksfall verknüpft. Über Hunderte von Millionen Jahren hat die Biosphäre organisches Material erzeugt, das unter Luftabschluss sedimentiert und unter Druck umgewandelt wurde. Entstanden sind Kohle, Öl und Gas. Die Plattentektonik hat diese Lager auch noch so platziert, dass sie in geologisch kurzer Zeit für eine intelligente Spezies zugänglich wurden.

In meinem Energie Artikel habe ich argumentiert, dass Energie der eigentliche Hebel der Welt ist. Fossile Brennstoffe sind in diesem Bild eine sehr spezielle Form von gespeicherter Sonnenenergie. Sie sind hoch konzentriert, gut transportierbar und leicht in Wärme und Bewegung umzusetzen. Genau diese Eigenschaften machen sie zum perfekten Startbooster für Industrialisierung. Dampfmaschine, Verbrennungsmotor, chemische Industrie, Elektrizität, globale Logistik. All das wäre ohne großflächige fossile Nutzung zumindest drastisch langsamer gelaufen.

Kosmologisch ist das keine Selbstverständlichkeit. Dass ein Planet Leben trägt, ist die erste Hürde. Dass dieses Leben genug Biomasse und geeignete Sedimentationsbedingungen erzeugt, um riesige fossile Lager anzulegen, ist eine zweite. Dass diese Lager in einem Zeitfenster an der Oberfläche liegen, in dem eine intelligente Spezies existiert, ist eine dritte. Die Erde könnte hier in einem sehr schmalen Korridor liegen. Genug Fossile für einen Energiesprung, aber nicht so viel geologisches Chaos, dass alles dauernd ausradiert wird.

Wenn das stimmt, könnte ein Teil des Großen Filters schlicht darin liegen, dass nur ein kleiner Anteil belebter Planeten überhaupt eine ähnliche fossile Schatzkiste wie wir besitzt. Viele Welten hätten dann zwar Biosphäre, vielleicht auch komplexes Leben, aber keine leicht zugängliche, hochkonzentrierte Energiebasis, um eine schnelle Industrialisierung zu zünden.

Der fossile Turbo und die beschleunigte Entwicklung

Unsere Geschichte legt nahe, dass ab einem bestimmten Punkt Technologie nicht mehr langsam und linear wächst. Sie beschleunigt sich. Jede Generation von Werkzeugen, Maschinen, Computern und Organisationstechniken macht die nächste möglich. Rechenleistung, Speicher, Kommunikation, Automation, das alles folgt charakteristischen Lernkurven. Mit jeder Verdopplung der Produktionsmenge sinken die Kosten und steigen die Möglichkeiten.

Dieser Prozess braucht Energieüberschüsse. Es reicht nicht, dass eine Gesellschaft überlebt. Sie muss freie Kapazitäten haben, um zu forschen, zu experimentieren, komplexe Strukturen zu bauen und Fehler zu verkraften. Fossile Brennstoffe liefern genau das. Für eine Weile verwandeln sie einen Planeten in eine Art Zeitraffer. Was sonst vielleicht in tausenden Jahren passieren würde, passiert in Jahrhunderten oder Jahrzehnten.

Aus Sicht einer Theorie wie der Modern Monetary Theory wirkt das fast ironisch. Geld ist im Prinzip kein knappes Gut. Ein souveräner Staat mit eigener Währung kann Ausgaben tätigen, solange reale Ressourcen vorhanden sind. Die eigentliche Beschränkung liegt bei Arbeitskräften, Rohstoffen, Produktionskapazitäten und eben Energie. Fossile Brennstoffe haben diesen realen Spielraum brutal erweitert. In der kurzen fossilen Phase scheint fast alles möglich. Das Geld findet immer irgend einen nominalen Weg. Die Physik liefert großzügig mit.

Die dunkle Seite. Fossile als Zivilisationsfilter

Genau dieselbe Energiequelle, die unsere Zivilisation beschleunigt, destabilisiert sie gleichzeitig. Das ist der unangenehme Kern. Die Verbrennung von Kohle, Öl und Gas verschiebt das Klimasystem, erhöht Temperaturen, verstärkt Extreme, verändert Niederschlagsmuster und bedroht landwirtschaftliche Grundlagen. Sie sägt an dem Ast, auf dem die Zivilisation sitzt.

Dazu kommen sekundäre Effekte. Wenn Wohlstand und Macht an fossile Infrastrukturen gekoppelt sind, bilden sich starke Interessen, diese Struktur zu erhalten. Staaten machen sich abhängig von Energieimporten oder Exporterlösen. Geopolitische Spannungen, Kriege und Erpressungen werden wahrscheinlicher. Der Energiesektor bestimmt, wer Einfluss hat und wer nicht. Ein großer Teil der letzten Energiekrisen war deshalb keine Naturgewalt, sondern das Ergebnis politischer Entscheidungen, wie ich im Artikel über Energie als ultimative Ressource schon beschrieben habe.

Der Große Filter könnte genau hier sitzen. Eine fossilgetriebene Zivilisation hebt ihre Produktivkräfte schneller an, als ihre Institutionen und kulturellen Normen hinterherkommen. Die Physik erlaubt gigantische Energieflüsse, aber die politischen und sozialen Systeme bleiben im Modus knapper Haushaltslogik und kurzfristiger Interessenkonflikte. Am Ende ist die Biosphäre überlastet, das Klima destabilisiert, die Ungleichheit eskaliert und das System kippt. Nicht weil es kein Geld mehr hätte, sondern weil es seine reale Energiebasis in die falsche Richtung genutzt hat.

Welten ohne fossilen Turbo

Man kann sich gut Planeten vorstellen, die reich an Leben, aber arm an Fossilen sind. Energie kommt dort aus Geothermie, Wind, Wasser, Sonne. Vielleicht gibt es Regionen mit sehr intensiver Geothermie, in denen frühe Kulturen mit Heißwasser und Dampf arbeiten. Vielleicht gibt es Planeten mit einer ständig beleuchteten Tagseite, auf der einfache Solartechnik sehr viel leisten kann. Oder Welten mit ungewöhnlich reichhaltigen Uran Lagerstätten, die den Weg zu früher Kernenergie öffnen.

Auf solchen Planeten wäre der Weg zur Hochenergie Zivilisation nicht ausgeschlossen, aber anders. Der Einstieg ist steiler. Man kann nicht einfach Kohle verbrennen und allmählich immer größere Maschinen bauen. Es braucht eher eine lange Phase langsamer Optimierung und kleinteiliger Effizienz. Gesellschaften müssten sehr früh lernen, Energieflüsse präzise zu organisieren, Netze aufzubauen, Speicher zu entwickeln, ohne den fossilen Schub im Rücken zu haben.

Im Ergebnis wäre die Entwicklung vermutlich langsamer und weniger spektakulär. Vielleicht gäbe es stabile, technisch entwickelte Kulturen, die sehr sorgsam mit ihrer Umwelt umgehen, weil sie von Anfang an gelernt haben, dass Energie knapp ist. Sie hätten genügend Technik für komplexe Gesellschaften, aber vielleicht keine globalen Industriekaskaden, die man aus Lichtjahren Entfernung erkennen könnte. Aus unserer Perspektive wären sie nahezu unsichtbar. Keine riesigen Abwärmesignaturen, keine massiven Funkschlieren, keine offensichtlichen Umbauten ganzer Sonnensysteme.

In dieser Variante des Großen Filters sind fossilreiche Welten die Ausnahme. Sie produzieren Zivilisationen, die rasch in eine hochenergetische Phase eintreten. Viele davon verbrennen sich an ihren eigenen Möglichkeiten. Fossilarme Welten bleiben vergleichsweise still und unauffällig. Das Universum wäre dann vielleicht voll von Leben und Kultur, aber der Himmel wäre trotzdem dunkel.

Der Filter aus MMT Sicht

Aus einer MMT Perspektive wirkt der Große Filter weniger wie ein metaphysisches Rätsel und mehr wie ein Test auf institutionelle Intelligenz. Entscheidend ist nicht, ob eine Zivilisation Geld hat. Entscheidend ist, ob sie ihre monetären Strukturen so nutzen kann, dass reale Ressourcen in eine nachhaltige, belastbare Richtung gelenkt werden.

Eine Gesellschaft, die glaubt, sie könne sich eine Energiewende nicht leisten, obwohl freie Arbeitskräfte, Know how und Produktionskapazitäten vorhanden sind, scheitert an einem selbstgebauten Mythos. Sie verheddert sich in fiktiven Budgetbeschränkungen, während ihr eigentlicher Haushalt, der physische Haushalt ihres Planeten, aus dem Gleichgewicht gerät. Der Filter liegt dann in einer Fehlwahrnehmung. Man verteidigt Nominalgrößen, während reale Systeme kippen.

Umgekehrt könnte eine Gesellschaft, die ihre monetäre Souveränität versteht, große Transformationsprojekte aufsetzen, ohne in Panik über Defizite zu verfallen. Sie würde ihre fiskalische Kapazität nutzen, um Erneuerbare zu bauen, Netze zu stärken, Speicher zu entwickeln, Gebäude umzurüsten, Ausbildung zu finanzieren. Kurz. Sie würde Geld in reale Energie und Struktur umwandeln, statt nur Vermögenspreise zu blähen. In diesem Sinne ist die Frage des Großen Filters eng mit der Frage verbunden, ob eine Zivilisation ihr eigenes Geldsystem versteht.

Anthropischer Blick in den Spiegel

Dass wir überhaupt über das Fermi Paradoxon nachdenken können, verrät bereits etwas über unseren Pfad. Offenbar leben wir auf einem Planeten, auf dem mehrere unwahrscheinliche Dinge gleichzeitig passiert sind. Es gibt Leben. Es gibt komplexe Organismen. Es gibt eine fossile Energiebasis, die uns einen gewaltigen Schub gegeben hat. Und bisher hat keine der großen Katastrophen unsere Zivilisation vollständig ausradiert.

Vielleicht bedeutet das, dass der Große Filter vor allem hinter uns liegt. Vielleicht war die Kombination aus Lebensentstehung, komplexer Evolutionsgeschichte und geologischer Struktur so selten, dass es nur sehr wenige Welten wie die Erde gibt. Vielleicht bedeutet es aber auch, dass wir gerade mitten im Filter stehen. Die eigentliche Probe kommt erst noch. Nämlich die Frage, ob wir unsere fossile Phase rechtzeitig hinter uns lassen können, ohne in einem Mix aus Klimachaos, politischer Fragmentierung und sozialer Erosion zu versinken.

Vermutlich ist beides wahr. Ein Teil des Filters liegt in der Geologie und Biologie, ein anderer im Umgang mit Energie, Institutionen und monetären Geschichten. Wenn der Himmel still bleibt, kann das bedeuten, dass die meisten Zivilisationen entweder niemals in eine Hochenergiephase kommen oder diese Phase nicht heil überstehen. In beiden Fällen ist die zentrale Größe dieselbe, die auch in meinem Text über Energie als ultimative Ressource im Mittelpunkt steht. Es ist die Frage, wie eine Kultur ihre Energieflüsse organisiert.

Vielleicht ist der Große Filter am Ende weniger eine Tür im All, sondern ein Spiegel. Er zeigt uns, ob wir bereit sind, unser Wissen über Geld, Energie und planetare Grenzen ernst zu nehmen. Was wir dort sehen, entscheidet darüber, ob wir einmal selbst für andere als leise, ferne Anomalie am Himmel auftauchen oder ob unsere Spur im Rauschen der Geschichte verschwindet.

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